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KOPFTUCH
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Bis zu einer eindeutigen Klärung durch die FIFA sollen Mädchen und Frauen mit Kopftuch in
Deutschland am Fußballspielen nicht gehindert werden, solange sie dabei ein spezielles Sportkopftuch
tragen.
Außerhalb des Spielbetriebs stellt sich die Frage nach dem Kopftuch weniger, da während des
Trainings die Vorschriften der FIFA keine Geltung haben. In wie weit Vereine, Trainer/innen und
Betreuer/innen ihren Spielerinnen ermöglichen, Kleidervorschriften einzuhalten und Kopftücher oder
lange Trainingsbekleidung zu tragen, liegt in ihrem Ermessen. In anderen Sportarten, zum Beispiel in
der Leichtathletik, gibt es übrigens schon Beispiele erfolgreicher Sportlerinnen mit Kopftuch.
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Untersuchungen haben ergeben, dass religiöse Kleidervorschriften wichtige, aber nicht entscheidende
Hinderungsgründe sind, die Mädchen und Frauen vom Fußballspielen abhalten.
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Dennoch ist gerade
im Jugendbereich zu Anfang mitunter eine intensive Überzeugungs- und Vertrauensarbeit gegenüber
den Eltern hilfreich, um gerade die muslimischen Spielerinnen für den Verein zu gewinnen. Weibliche
Trainerinnen wirken in diesem Zusammenhang vertrauenfördernd auf die Eltern.
Das Kopftuch ist ein gutes Beispiel dafür, was es heißt Unterschiede zu verstehen und anzuerkennen,
aber sich auch offen und respektvoll über die damit verbundenen Meinungsverschiedenheiten auszu-
tauschen.
Links:
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Die 200-Meter Läuferin Ruquaya Al Ghasara (Bahrain) lief bei den Olympischen Spielen in Peking mit
Kopftuch ins Halbfinale.
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Vgl.: Boos-Nünning, Ursula; Karaka
ş
o
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lu, Yasemin (2005) Viele Welten leben: zur Lebenssituation von
Mädchen und jungen Frauen mit Migrationshintergrund. Münster; Kleindienst-Cachay, C. (2007): Mädchen
und Frauen mit Migrationshintergrund im organisierten Sport. Baltmannsweiler. Kleindienst-Cachay, C.;
Kuzmik, C. (2007): Fußballspielen und jugendliche Entwicklung türkisch-muslimischer Mädchen.
Ergebnisse einer Interviewstudie. In: Sportunterricht 56, Heft 1. Schorndorf.
Bundesländern ein Kopftuchverbot in Schulen durchgesetzt.
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Jedoch ist immer noch nicht abschlie-
ßend geklärt, in wie weit diese Verbote den Islam gegenüber anderen Religionen ungleich behandeln.
Schließlich hätte eine Verbannung von religiösen Symbolen auch zur Folge, dass die Nonnenkluft
ebenso wie das katholische Kruzifix oder die jüdische Kippa aus den Klassenzimmern und
Polizeistuben verschwinden müssten. Der Kopftuchstreit reicht jedoch über das Spannungsverhältnis
von Staat und Religion hinaus. Zur Diskussion stehen die prinzipielle Integrationsfähigkeit des Islams
und das neue Selbstbild Deutschlands als Zuwanderungsgesellschaft.
Das Kopftuch gilt vielen als Beweis für Fremdheit und Differenz der islamischen Kultur, einigen sogar
für die Unverträglichkeit zwischen dem „Westen“ und dem „Islam“. Nicht selten wird das Kopftuch mit
islamistischen oder fundamentalistischen Glaubenshaltung in Verbindung gebracht.
Die Bedeutung und das Tragen des Kopftuches sind jedoch komplexer und individueller als allgemein wahr-
genommen. Sozialer Druck oder gesetzlicher Zwang sind nur eine Facette. Das Tragen eines Kopftuchs ist
stark vom religiösen Selbstverständnis und individuellen Glaubensbekenntnis abhängig. Das Kopftuch gilt
Muslimminen als Ausdruck kultureller Tradition, Identität und Zugehörigkeit. Ebenso kann das Kopftuch
ein Symbol religiöser Emanzipation oder politischen Protests sein oder ein individuelles Mode-Accessoire
darstellen. Nur in wenigen Fällen steht das Kopftuch für eine fundamentalistische Glaubenshaltung.
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Viele Frauen tragen das Kopftuch aus eigener Überzeugung und führen es auf eine bewusste und indi-
viduelle Aneignung des Islam zurück. Das Bild des Opfers (Unterdrückung der Frau), das die
Fremdwahrnehmung von Kopftuchträgerinnen in Europa mitbestimmt, ist in diesen Fällen unzutref-
fend. Zugleich darf nicht vergessen werden, dass sich Frauen überall auf der Welt mit Machismus,
Diskriminierung und Gewalt konfrontiert sehen. Religiös motivierte Herabsetzungen können durch
soziale Probleme verschärft werden, so dass Tendenzen der (Selbst-)Ausgrenzung feststellbar sind.
Wo gegen Gesetze, die menschliche Würde oder die Gleichstellung von Frauen und Männern, im
Namen des Glaubens oder aus anderen Gründen, verstoßen wird, sind Wachsamkeit und Solidarität
gefragt, um die Selbstbestimmung und Persönlichkeitsentfaltung der Frauen zu gewährleisten.
Bedeutung für den Fußball:
Die Kopftuchdebatte hat mit dem wachsenden Interesse an Mädchen- und Frauenfußball auch Einzug auf
die Sportplätze gehalten. Der DFB unterstützt die Fußballbegeisterung muslimischer Mädchen durch
gezielte Förderung, denn sie sind bisher wesentlich weniger als Jungen in den Vereinssport eingebun-
den. Zuständig für eine Klärung der Frage, ob mit Kopftuch gespielt werden darf, ist die FIFA, da es sich
um einen Regelungsbereich der Fußballregeln handelt. Die FIFA legt in ihrem weltweit gültigen
Regelwerk die grundsätzlichen Kleidungsvorschriften für den Spielbetrieb fest. Zwei Grundsätze (Regel
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sind dabei zu beachten:
1. „
Ein Spieler darf keine Kleidungsstücke oder Ausrüstungsgegenstände tragen, die für ihn oder einen
anderen Spieler eine Gefahr darstellen (einschließlich jeder Art von Schmuck).“
2. „
Die vorgeschriebene Grundausrüstung (Hemd, Hose, Strümpfe, Schienbeinschoner und Schuhe) darf
keine politischen, religiösen oder persönlichen Botschaften aufweisen.“
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Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 2003 (2 BvR
1436/02).
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Vgl.: Bundeszentrale für politische Bildung (2005): Konfliktstoff
Kopftuch. Bonn; Berghahn, Sabine; Rostock, Petra (Hrsg.) (2009): Der
Stoff aus dem Konflikte sind. Debatten um das Kopftuch in Deutschland,
Österreich und der Schweiz. Bielefeld.