INTEGRATION A–Z
IDENTITÄT
73
Gesellschaft geworden. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Mitglieder einer Gesellschaft bereit sind,
unter ihrem Dach kulturelle Differenzen, also Nicht-Identität, zu akzeptieren und als gleichberechtigt
anzuerkennen. Die Freiheit zur persönlichen und kulturellen Entfaltung des Individuums gehört zu den
allgemeinen Menschenrechten, aber diese Freiheit hört zum Teil da auf, wo ein Dritter sich in seiner
eigenen Entfaltung bedroht sieht. Integration ist deshalb ein wechselseitiger Verständigungsprozess,
der nicht die Aufgabe kultureller Identitäten fordert, aber auf einige Grundvoraussetzungen angewie-
sen ist (zum Beispiel eine gemeinsame Sprache), ohne die Interaktion und Verständigung unmöglich
sind. Ein bloßes „Nebeneinander“ führt in eine Sackgasse und nicht zur Lösung von gemeinsamen
Problemen. Eine Gesellschaft ist deshalb auch auf übergreifende Solidarität und Identifikation ange-
wiesen. Ihr Leitbild sollte eine pluralistische Gesellschaft sein, die trotz unterschiedlicher kultureller
Identitäten, Räume für Gemeinsamkeiten schafft. Ziel sollte ein Zusammenleben ohne Ausgrenzung
sein.
Bedeutung für den Fußball:
Menschen besitzen ihre Identität nicht von Natur aus, denn die Identität entwickelt sich durch soziale
Beziehungen. Sport und Fußball bieten, gerade im Jugendbereich, die Möglichkeit, die individuelle
soziale Entwicklung zu fördern. Die Kultur des Sports kann schon früh zu einem Teil individueller und
kollektiver Identität werden. Sportliche Erfolge und soziale Anerkennung gehören ebenso dazu wie
Niederlagen und gelegentlich erfahrene Ablehnung. Niemand verliert gerne, doch durch den konstruk-
tiven Umgang damit kann eine Niederlage auf dem Platz zu einer Stärkung für den Zusammenhalt des
Teams werden.
Fairplay im Fußball bedeutet, die Persönlichkeit und Identität von Mitspieler/innen und Gegner/innen
anzuerkennen, gleich welcher Herkunft, Religion, Hautfarbe oder sexueller Orientierung. Fußball bie-
tet den Raum zur Förderung gemeinsamer Identifikation trotz (kultureller) Unterschiede. Kulturelle
Identität wird dann zum Problem, wenn unter der Forderung nach Integration eine völlige Anpassung
verstanden wird.
Der Umgang mit unterschiedlichen Identitäten auf dem Spielfeld kann kompliziert sein. Ein unbedacht
dahergesagter Spruch kann falsch verstanden oder als diskriminierend aufgefasst werden. Für ein
Gespräch oder eine Entschuldigung ist es nicht zu spät. Integration erfordert die Hinterfragung des
eigenen Handelns und damit auch der eigenen Identität.
INTEGRATION A–Z
IDENTITÄT
72
Identität
Definition:
Identität leitet sich von dem lateinischen Wort für „ein und dasselbe“, „sich ähneln“ oder „ein Ganzes
bilden“ ab. Das Wort drückt ursprünglich also eine innere und äußere Übereinstimmung aus.
Psychologen und Soziologen unterscheiden theoretisch zwischen persönlicher und kollektiver (bzw.
kultureller) Identität. Dies sind diese jedoch nur zwei Seiten einer Medaille. Identität bildet einen
Schnittpunkt zwischen individueller Persönlichkeit und der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Identität ist
eine Antwort auf grundlegende Fragen wie „Wer bin Ich?“, „Wohin gehöre Ich?“, „Was kann Ich?“ oder
„
Was wird aus mir?“. Sie weist dem Individuum einen Platz innerhalb seiner sozialen Umgebung zu
und verleiht seiner Existenz einen sozialen Sinn. Als ein Bewusstsein von sich selbst bestimmt
Identität das Denken und Handeln.
Die Grundlagen der Identität werden schon in der frühen Entwicklung gelegt. Die direkte Umgebung,
die Eltern und Familie, bilden erste Bezugspunkte der Sozialisation. Identitätsfindung ist jedoch ein
offener Prozess, der auch mit dem Erreichen des Erwachsenenalters nicht völlig abgeschlossen ist.
Identität konstruiert sich sowohl durch die Reflexion der eigenen Wahrnehmungen, Empfindungen und
des eigenen Handelns, als auch durch die Interaktion und Kommunikation mit anderen. Die individuelle
Lebensgeschichte ist ebenso Teil der Identität, wie die Besonderheiten der kulturellen Umgebung und
sozialen Beziehungen.
Identität besteht aus vielen Schichten, die sich übereinander lagern, miteinander konkurrieren und
sich über die Zeit verändern. Identität ist keine feste Größe, sondern eine Balance, die immer wieder
auf den Prüfstein gestellt werden muss. Identitätskrisen, zum Beispiel in Umbruchphasen wie der
Pubertät, sind daher ganz normal. Menschen haben das Potenzial zur Veränderung; auch Identitäten
sind veränderlich.
Bedeutung für die Gesellschaft:
Das Bekenntnis zu einer kollektiven Identität drückt ein Wir-Gefühl aus. Menschen entwickeln ein
Gefühl von Zusammengehörigkeit in einer Gruppe, aufgrund gemeinsamer Herkunft, Sprache, politi-
scher oder religiöser Überzeugung oder Kultur. Dann wird anstelle kollektiver auch von kultureller
Identität gesprochen.
Mit Identität ist ein starkes Gefühl der Solidarität zur Gruppe verbunden – auch unter Menschen, die
sich nicht persönlich kennen. Nationale Identitäten liefern dafür gute Beispiele. Genau wie Fußballfans
aus England und Indien, die wenig gemeinsam haben, sich jedoch durch ihre Leidenschaft für ihren
Club, z.B. Manchester United, verbunden fühlen. Kollektive Identitäten können jedoch auch ebenso
destruktiv und diskriminierend sein, denn Wir-Gefühl und Übereinstimmung für die einen, kann
Ausschluss und Fremdheit für die anderen bedeuten. Insbesondere wenn, wie bei Rassismus, mit dem
Ausschluss eine Abwertung verbunden ist. Kollektive Identitäten sind ein Machtmittel, das mitunter
politisch missbraucht wird. Je enger die Grenzen von Identität gezogen werden, desto exklusiver ist
die Gemeinschaft. Die Menschen in Deutschland sind heute mit einer komplexen Vielfalt kultureller
Identitäten konfrontiert. Der Umgang mit dieser Vielfalt ist zu einer Herausforderung für die moderne