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bedeutender. Viele Menschen aus aller Welt haben in den letzten Jahrzehnten in Deutschland eine
neue oder eine zweite Heimat gefunden. Nur die wenigsten fühlen sich heimatlos. Trotzdem ist das
Gefühl von Heimat vieler Menschen mit Migrationshintergrund besonders. Für viele sind ihre
Herkunftsorte, -länder und -regionen und ihre Eigenarten noch Teil ihrer Identität, obwohl sie nur noch
wenig mit ihrer Alltags- und Lebenswirklichkeit zu tun haben und sie nicht beabsichtigen, wieder dort-
hin zurückzukehren. Die Erinnerung an die Heimat, die durch persönliche Beziehungen oder in
Heimatvereinen gepflegt wird, sichert den Zusammenhalt in Teilen vieler Migranten-Communities.
Eine Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft wird dadurch meist nicht verhindert. In pluralisti-
schen Gesellschaften können heimatliche Vielfalt und eine Vielfalt der Heimaten gleichzeitig funktio-
nieren.
Bedeutung für den Fußball:
Fußball, das ist ein Stück Heimatkultur. Große Fußballclubs sind aus ihrem regionalen Umfeld nicht
wegzudenken – was wäre Gelsenkirchen ohne den FC Schalke 04 oder Mönchengladbach ohne die
Borussia – und ihr Erfolg ist fast schon ein Stück Heimatpflege. Vielen Fans bietet ihre Kurve eine
lebenslange Heimat.
Das Besondere daran ist, dass Teilhabe am Fußball, jeder und jedem offen steht. Fußball bietet allen
Menschen, die Freude an diesem Sport haben, egal welcher Herkunft, Hautfarbe oder Nationalität,
eine Heimat. Um für seinen Verein mitzufiebern oder selbst für Tore zu sorgen, braucht es lediglich ein
paar Fußballschuhe, Spaß und Motivation. Als Sportart Nr. 1 in Deutschland schafft Fußball
Begegnungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Heimaten und Traditionen.
Zugleich ist Fußball ein Medium, um Identifikation mit dem sozialen Umfeld, dem Dorf, Stadtviertel,
Bezirk oder Stadt zu stärken. Durch gemeinsamen Sport wird Zugehörigkeit vermittelt, im Verein kann
sich jeder zum Teil des Ganzen machen. Gerade in ländlicheren Regionen und kleineren Ortschaften
sind die Fußballvereine oft Mittelpunkte des sozialen Lebens. Als Treffpunkte dienen sie dazu, sich aus-
zutauschen, Traditionen zu pflegen, Feste zu feiern und bedeuten ein Stück Heimat. Aber auch in
Städten sind die lokalen Clubs Aushängeschilder der Stadtteile.
Als Heimatvereine wurden auch viele der sogenannten ethnischen Sportvereine durch „Gastarbeiter“
und andere Migrant/innen gegründet. Die Vereinsnamen verdeutlichen die Verbindungen zur Heimat.
Die Vereinsheime waren wichtige Anlaufstellen für Neuankömmlinge und Treffpunkte der entstehen-
den ethnischen Communities. Sie boten einen geschützten Raum, um heimatliche Traditionen und
Bräuche weiterzuführen. In einem familiären Umfeld wurden Neuigkeiten aus der Heimat ausge-
tauscht und neue Kontakte geknüpft. Die meisten dieser Vereine stehen heute allen Interessierten
offen und haben ihren berechtigten Platz in der heimatlichen Sportlandschaft gefunden.
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Heimat
Definition:
Heimat ist ein ursprünglich alemannisches Wort, das ein Recht über Gut und Boden bezeichnet. Von
dieser engen politisch-juristischen Definition hat sich seine heutige offene Bedeutung weit entfernt.
Heimat ist vielmehr ein persönliches, individuelles Empfinden, das normalerweise mit keinerlei
Rechten oder Pflichten verbunden ist. Selbstverständlich sehen viele Menschen „Heimatpflege“ und
Schutz der Heimat“ gleichwohl als Verpflichtung an.
Heimat ist eine starke emotionale Bindung und Identifikation von Menschen mit bestimmten „Orten“.
Mit Heimat können sowohl reale Orte, zum Beispiel eine bestimmte Gegend, ein Dorf, eine Stadt oder
ein Land, als auch vergangene oder utopische Orte gemeint sein, die mit Hoffungen, Wünschen oder
Sehnsüchten verbunden sind.
Mit Heimat werden bestimmte, oft idealisierte Eigenheiten, wie kulturelle Traditionen, religiöse
Vorschriften, Besonderheiten der Sprache, Folklore, Kunst oder Musik, usw., verbunden. Heimat ist ein
wichtiger Bezugspunkt persönlicher und kollektiver Identität. Sie vermittelt eine subjektiv empfunde-
ne Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, die dieselbe Heimat teilt.
Die Wahrnehmung von Heimat stützt sich auf subjektive Erfahrungen, die eng mit der persönlichen
Lebensgeschichte verflochten sind. Heimat wird mit Ursprünglichkeit und Echtheit assoziiert. Das indi-
viduelle Bild der Heimat verrät viel über die Herkunft eines Menschen. Doch Heimatgefühle entstehen
oft erst durch die Erinnerung, den Verlust oder die Distanz. So zeigen sich die stärksten Gefühle für
Heimat durch das Heimweh.
Gesellschaftliche Bedeutung:
Das Bedürfnis nach Heimat ist in Deutschland anhaltend groß. Umfragen bestätigen, dass Heimat in
Anbetracht der Globalisierung weiterhin große Bedeutung zugemessen wird.
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Diese Entwicklung ist
allerdings nicht neu: gesellschaftlicher Wandel wurde stets von Verlust- und Zukunftsängsten beglei-
tet, die sich in einer verstärkten Sehnsucht nach Identität und Zugehörigkeit ausdrückten. Der Bezug
zur Heimat fungiert angesichts gesellschaftlicher Auflösungserscheinungen als eine Art sozialer
Haltegriff. Nicht selten endete dieser „rückwärtsgewandte“ Entwurf einer Heimat, der
Ursprünglichkeit, Identität und Gemeinschaft vermitteln sollte, jedoch in ethnozentrischen oder natio-
nalistischen Weltbildern. Durch diese politische Aufladung wurde Heimat zu einem exklusiven Ort, der
Fremde“ ausschloss. Auch heute versuchen Rechtsextremisten den Begriff Heimat für ihre Zwecke zu
instrumentalisieren. Allerdings wird unter Heimat nur selten das Heimatland verstanden.
Aktuelle Umfragen zeigen, dass nur 11% der Bevölkerung ihre Heimat in erster Linie mit Deutschland
verbinden. Es überwiegt die Identifikation mit dem Wohnort (27%), dem Geburtsort (25%) und der
Familie (11%).
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Entscheidend für einen vernünftigen Umgang mit Heimat ist, ihre Schätzung nicht zur
blinden Überschätzung ausufern zu lassen,
Heimat – das ist ein Ort, an dem man sich wohl und verbunden fühlt und an dem man anerkannt wird.
In Anbetracht weltweiter Migrations- und Integrationsprozesse scheint die Frage nach Heimat umso
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Vgl.: Spiegel Spezial (1999): Sehnsucht nach Heimat.
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Vgl.: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.):
Heimat ist, wo ich mich wohlfühle. 2003. Verfügbar unter: