INTEGRATION A–Z
GEWALTPRÄVENTION
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Methode körperlicher Aktivierung. Die Schaffung angemessener Rahmenbedingungen, die möglichst
viele Menschen ansprechen, ist daher eine notwendige Bedingung der Gewaltprävention.
In der Sozialen Arbeit sind sportliche Aktivitäten Inhalt und Methode der präventiven Arbeit zugleich,
denn häufig ist Fußball das einzige Mittel, um an problematische Kinder und Jugendliche heranzukom-
men. Für viele ist der Sport überdies der einzige Ort, an dem sie Erfolg, Selbstbestätigung, soziale
Anerkennung und positive Gruppenerlebnisse erfahren.
Vereine können durch bewusste interkulturelle Öffnung einen Beitrag leisten. Durch die Offenheit
gegenüber kulturellen Unterschieden und die gemeinsame Gestaltung des Sports können Gefühle von
Fremdheit und Konflikte vermieden werden. Durch gezielte Qualifizierung können beispielsweise
Trainer/innen interkulturelle Vermittlungen in den Mannschaften leisten. Durch ihr eigenes Verhalten
sind sie wichtige Vorbilder der Gewaltprävention. Das Engagement von Trainer/innen und
Ehrenamtlichen stößt natürlich an Grenzen, wenn eigentlich eher Sozialarbeiter/innen gefragt wären.
Für eine wirksame sekundäre und tertiäre Präventionsarbeit, die den Umgang mit Konflikten gezielt
schult und bei Vorfällen interveniert, werden deshalb ausgebildete Kräfte mit zusätzlichen
Kompetenzen und Ressourcen gebraucht. Vereine sollten Gewalt nicht ignorieren, aber zugleich ihre
eigenen Kompetenzen richtig einschätzen. Durch Kooperationen und Vernetzung mit Trägern der
sozialen und präventiven Arbeit können sie zur Gewaltprävention beitragen. Das zeigen auch die posi-
tiven Erfahrungen mit speziell auf interkulturelle Konflikte spezialisierte Sozialarbeiter/innen, die
Vereine, Trainer/innen und Jugendliche begleiten.
Die Fußballverbände bieten zum Thema Gewaltprävention insbesondere Qualifizierungsangebote für
Trainer/innen, Schiedsrichter/innen und andere Schlüsselrollenträger/innen im Fußball an. In den
Sportgerichten wird verstärkt auf präventive Maßnahmen (Strafaussetzung zur Bewährung) anstelle
drakonischer Strafen gesetzt. Dazu kann die verpflichtende Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Training
gehören.
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GEWALTPRÄVENTION
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B-Jugendfußballspielern aus Niedersachsen, den sportlichen Erfolg über das Fairplay. Auch
Trainer/innen und Eltern fordern bisweilen ein „hartes Einsteigen“ gegenüber dem Gegner.
Diskriminierende Beleidigungen, die in Gewalt münden können, werden auf dem Fußballplatz zu oft
toleriert.
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Vor Sportgerichten verhandelte Spielabbrüche aufgrund gewalttätiger Auseinander-
setzungen haben daher gerade auch ethnische und ethnisierte Konflikte als Ursache.
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Der sportliche Wettkampf nimmt für einige zuweilen eine Stellvertreterfunktion in einem „Ringen“ um
gesellschaftliche Anerkennung oder sogar um gesellschaftliche Hegemonie zwischen Mehrheits-
gesellschaft und Menschen mit Migrationshintergrund ein. Fußball wird als Anlass für symbolische
Konfliktaustragungen betrachtet, mit der Folge, dass Sieg und Niederlage im Spiel mitunter als Symbol
für ethnische Über- und Unterlegenheit empfunden werden. Die überaus hohe Sensibilität der
Migrant/innen gegenüber jeglicher Form von Nichtachtung der persönlichen Integrität und Un-
gleichbehandlung im Fußballsport erklärt sich angesichts ungleicher gesellschaftlicher
Teilhabechancen sowie herrschender Fremdenfeindlichkeit. Das Unterliegen in Konkurrenzsituationen
wirkt dabei Konflikt verstärkend. „Fußball als Nationalsportart in Deutschland wie in den
Herkunftsgesellschaften der größten Minderheitengruppen bietet Anlässe für symbolische
Konfliktaustragungen. Sieg oder Niederlage im Spiel werden zu Symbolen ethnischer Über- oder
Unterlegenheit“.
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Vor diesem Hintergrund werden die Anlässe für gewalttätige Zwischenfälle ver-
schieden wahrgenommen. Spieler/innen mit Migrationshintergrund nennen Diskriminierung, verbale
Provokation, Benachteiligung durch Schiedsrichter/innen und Sportgerichte sowie
Ausländerfeindlichkeit als Auslöser. Spieler/innen ohne Migrationshintergrund geben südländisches
Temperament, Disziplinlosigkeit bei Schiedsrichterentscheidungen sowie Separierung der
Migrant/innen in eigene Mannschaften und Vereine als Auslöser gewalttätiger Zwischenfälle an.
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Auch am Rande bieten Fußballspiele einen Eskalationsrahmen für Fremdenfeindlichkeit, Rassismus
und Gewalt. Das Lob der präventiven und integrativen Bedeutung des Fußballs verdeckt die diesem
Sport gelegentlich innewohnenden Problemfelder der Aggression und Gesundheitsgefährdung.
Der Fußball macht auf Grund seiner hohen gesellschaftlichen Wertigkeit und seiner großen
medialen Aufmerksamkeit, gesellschaftliche (Fehl-)Entwicklungen sichtbar. Gewalt und Unfairness
sind nicht in erster Linie ein fußballspezifisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Dem Sport allein die Aufgabe der Prävention zu übertragen, muss daher scheitern. Fußball ist
dann zwar der Anlass, doch seltener die Ursache von Gewalt. Trotzdem sollten sich Vereine und
Verbände ihrer (Mit-)Verantwortung stellen und durch Kooperationen und Vernetzung mit anderen
gesellschaftlichen Institutionen und Initiativen für eine Kultur des Sports ohne Gewalt werben. Die
erfolgreiche Arbeit der Fanprojekte und anderer Initiativen beweisen, dass solche Bemühungen
erfolgreich sein können.
Die größten Chancen besitzt Fußball im Bereich der primären Prävention. Die große Bedeutung von
Bewegungsangeboten für eine positive Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung und für den Abbau
von Aggressionen und Gewaltpotenzialen ist heute unbestritten. Bewegung schafft ein positives
Verhältnis zum eigenen Körper, baut Ängste ab und fördert körperliche Gesundheit. Angesichts immer
kleiner werdender Bewegungsräume für Jugendliche, bietet das Fußballspiel eine scheinbar einfache
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Pilz, Gunter: Erziehung zum Fairplay im Wettkampfsport. Ergebnisse aus Untersuchungen im wettkampf-
orientierten Jugendfußball., Bundesgesundheitsblatt 48; 8, 881-889 (2005)
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Pilz, Gunter (2000): Fußball und Gewalt – Auswertung der Verwaltungsentscheide und Sport-
gerichtsurteile im Bereich des Niedersächsischen Fußball-Verbandes Saison 1998-1999, Hannover.
vgl. auch: Ribler, Angelika / Pulter, Astrid (Hrsg.) (2010): Konfliktmanagement im Fußball. Frankfurt/Main
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Klein, Marie-Louise: Integrationsprobleme durch kulturelle und ethnische Konflikte. In: DFB- Sportförder-
verein (Hrsg.): Dokumentation „Toleranz und Fairness – Gewaltprävention im Fußball. Frankfurt 31-35 (2001)
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ebd.