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DFB-WISSENSCHAFTSKONGRESS 2013
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in tatsächliche Optimierungsmaßnahmen für die Praxis.
Und wenn der Elfmeter-Coach mit seiner Arbeit fertig
ist, dann verändert sich auch die Perspektive der Spieler.
Der „gecoachte“ Torhüter verfolgt das gleiche Ziel wie
der nicht „gecoachte“ Torhüter, er versucht die Schuss-
richtung des Schützen zu antizipieren. Nur verfügt der
gecoachte“ Torhüter über ein Arsenal an Möglichkei-
ten: Zunächst verfügt er über eine profunde Gegnerana-
lyse, er weiß mit hoher Wahrscheinlichkeit, wer schießen
wird, er kennt das Schussmuster, kann bestimmte
Schussoptionen ausschließen und er kennt die Strategie
des Schützen, so dass er eine optimale Gegenstrategie
entwickeln kann. Darüber hinaus verfügt der Torhüter
über Wissen, wie man Störmanöver so einsetzt, dass er
die Entscheidungen des Schützen beeinflussen kann.
Hier gibt es ganz interessante Befunde, die der „ge-
coachte“ Torhüter natürlich kennt und einsetzt. Drittens
verfügt dieser Torhüter über eine verbesserte Antizipa-
tionsfähigkeit, er weiß, auf welche Hinweisreize er beim
Schützen achten muss, und hat die Nutzung dieser Hin-
weisreize im Training gezielt verbessert.
Die zehnte Perspektive ist die des „trainierten“ Schüt-
zen. Auch er verfügt über verschiedene Möglichkeiten,
seine Erfolgsaussichten zu erhöhen. Der erste und wich-
tigste Punkt ist, dass der Schütze aufgrund seiner fuß-
ballspezifischen Fertigkeiten, aber auch seiner Persön-
lichkeit, seiner kognitiven Fähigkeiten und seiner menta-
len Verfassung prädestiniert und ausgewählt ist, in die-
ser Situation einen Elfmeter zu schießen. Darüber hin-
aus besitzt der „gecoachte“ Schütze Wissen über den
Torhüter, weiß also, was ihn erwartet. Und er hat den
Rückhalt seines Teams und seines Trainers. Der Trainer
hat ihn für diese Situation ausgewählt und das Team
weiß, es ist auch in Ordnung, wenn er einen Elfmeter ver-
schießt. Dieser Schütze hat eine für ihn passende Stra-
tegie ausgewählt und hat diese Strategie im Training un-
ter den verschiedensten Bedingungen geübt und trai-
niert, was letztlich dazu führt, dass der Schütze im ent-
scheidenden Moment einen Plan besitzt, vorbereitet ist
auf die Situation und in dieser Lage die Angst sozusagen
reduziert, die Sicherheit gestärkt ist, was zu einer Er-
höhung der Schussgenauigkeit, der Entscheidungsqua-
lität und letztlich der Trefferquote führt.
Ich habe elf Arten versprochen, den Elfmeter zu sehen,
die letzte will ich nicht vorenthalten. Das ist eine Per-
spektive, die alle kennen, die meisten wahrscheinlich
auch lieben. Das ist die Perspektive des Engländers (sie-
he Foto).
In diesem Sinne möchte ich mich beim DFB und der AG
Wissenschaft für die Auszeichnung herzlich bedanken!
sind. Auch der Statistiker liefert wichtige Daten, aber
auch er kann nur begrenzt Hinweise für die Praxis ge-
ben, da ihm die praktische Erfahrung fehlt, diese Daten
zu interpretieren und zu filtern.
Das führt uns zur achten Perspektive und das ist die Per-
spektive des Elfmeter-Coaches. Er glaubt nicht an den
Mythos der Untrainierbarkeit. Er vereint die Perspekti-
ven des Statistikers, des Theoretikers und des Spielers
in sich. So kennt er natürlich die statistischen Details,
aber er filtert sie entsprechend und macht sie für sich
nutzbar. Er kennt darüber hinaus auch alle theoreti-
schen Befunde, ihn interessieren insbesondere die Be-
funde, die tatsächlich die Leistung von Elfmeterschüt-
zen und Torhütern beeinflussen. Und – ein ganz wichti-
ger Punkt: Er kennt die Perspektive der Spieler. Das ist
für ihn eine ganz wichtige und entscheidende Voraus-
setzung, den letzten Schritt zu machen, nämlich die
Überführung der Erkenntnisse aus Punkt 1 und Punkt 2
Ein enttäuschter Gareth Southgate nach dem entscheidenden verschos-
senen Elfmeter im EM-Halbfinale 1996 gegen die DFB-Elf.