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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 3 / 2 0 1 4
Ein ganz besonderer, eher kurio-
ser Abseits-Fall trug sich im Ach-
telfinalspiel der Coppa Italia
(
italienischer Pokal) zwischen dem
SSC Neapel und Atalanta Bergamo
(3:1)
zu.
Beim Stand von 1:1 wird der Ball in
der 73. Minute aus dem Mittelfeld
in den Strafraum von Atalanta
Bergamo geflankt. Dort befindet
sich Neapels Stürmer Gonzalo
Higuain (Nr. 9) in diesem Moment
in einer nicht strafbaren Abseits-
position
(
Foto 6a).
Denn Higuain
greift in der Folge nicht in das
Spiel ein: Er spielt weder den Ball,
noch berührt er ihn auch nur.
Higuain beeinflusst auch keinen
Gegner, weil er ihn hindert, den
Ball zu spielen oder spielen zu
können, indem er eindeutig die
Sicht eines Gegenspielers ver-
sperrt. Und er greift auch keinen
Gegner an, um den Ball spielen zu
können.
Dennoch hebt Abwehrspieler
Cristiano Del Grosso (Nr. 27), der
circa drei Meter entfernt von
Higuain steht, den Arm, um beim
Schiedsrichter-Team einen
Abseitspfiff zu reklamieren. Dabei
dreht er sich zum Assistenten und
wendet sich gleichzeitig vom
Spielgeschehen ab. Eine Bewe-
gung mit fatalen Folgen!
Denn die Flanke prallt einen
Augenblick später an seinem
Rücken ab
(
Foto 6b)
und springt
zu einem Mitspieler von Higuain.
Lorenzo Insigne, Neapels Nr. 24,
stand aber im Moment der Ballab-
gabe nicht im Abseits und schießt
nun den Ball ins Tor
(
Foto 6c).
Die
Fahne des Assistenten bleibt
unten, Schiedsrichter Andrea De
Marco erkennt den Treffer völlig
zu Recht an.
Denn auch das dritte Kriterium,
um die Abseitsstellung von
Higuain strafbar zu machen
(„
einen Vorteil aus einer Abseits-
position erlangen“) wird hier
nicht erfüllt. Die drei Gründe sind
ja personenbezogen, sie gelten
nur für den im Abseits stehenden
Spieler. Dass Higuains Mannschaft
aus der Situation „einen Vorteil
zog“ und das 2:1 erzielte, hatte
nichts mit dem Wortlaut der
Abseitsregel zu tun. Es lag viel-
mehr an der mangelnden Regel-
kenntnis eines Abwehrspielers
und daran, dass er in diesem
Moment einen der simplen Grund-
sätze des Fußballspiels miss-
achtete: Man spielt immer so
lange weiter, bis der Schiedsrich-
ter pfeift.
Dass Del Grosso mit seinem Unwis-
sen in dieser Situation nicht allein
dastand, zeigte sich an den Fol-
gen: Der Schiedsrichter musste
einen Spieler von Atalanta Ber-
gamo wegen seiner wilden Proteste
vom Platz stellen. So kassierte
Bergamo auch noch das 1:3 und
schied aus dem Pokal-Wettbewerb
aus.
***
Und noch ein weiterer Blick ins
Ausland in Sachen „Abseits“: In
der
Primera Division“
Spaniens
läuft im Spiel
UD Levante gegen
FC Granada
beim Stand von 0:0
die 90. Spielminute. Der Schieds-
richter verhängt rund 25 Meter
vor dem Tor von Levante einen
Freistoß. Schon als der Unpartei-
ische noch die „Mauer“ auf die
richtige Entfernung justiert, steht
ein Angreifer kurz vor dem Tor-
raum weit im Abseits – zunächst
mit dem Gesicht zum Ball.
Unmittelbar bevor Piti vom FC Gra-
nada den Freistoß ausführt, dreht
sich dieser Spieler zum Torwart
um, der sich in der Mitte seines
Tores postiert hat. Damit versperrt
der Angreifer des FC Granada –
sogar bewusst – eindeutig die
Sicht des Torwarts zum Ball
(
Foto 7)
und greift mit diesem
Trick“ ins Spiel ein. Das ist ohne
Frage strafbares Abseits. Erstaun-
lich, auf welche Weise sich man-
che Spieler (und Trainer) einen
Vorteil verschaffen wollen, um
diesen Ausdruck noch einmal zu
benutzen.
Noch erstaunlicher ist allerdings,
dass der Treffer, der aus diesem
Freistoß fiel, Anerkennung fand
und Granada damit den 1:0-Sieg
sicherte.
Der Spieler im weißen Trikot versperrt, weit im Abseits ste-
hend, dem Torwart den Blick auf den Ball.
Die Nummer 9 steht eindeutig im Abseits,…
was der Abwehrspieler dem Assistenten als „strafbar“ anzei-
gen möchte. Der Ball prallt von ihm ab…
und wird von einem Spieler des SSC Neapel ins Tor geschos-
sen.
Foto 6a
Foto 6b
Foto 6c
Foto 7