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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 5 / 2 0 1 3
Analyse
Zum Unterschied dazu folgendes
Beispiel: Der Verteidiger im gel-
ben Trikot schlägt den Ball in
hohem Bogen nach vorne, wo
sich sein Mitspieler in einer
Abseitsposition befindet
(
Foto 4a)
.
Dies beobachtet ein Verteidiger
im blauen Trikot, der nahe der
Mittellinie wartet.
Als sich der hoch geschlagene
Ball wieder über dem Verteidiger
absenkt, versucht dieser, den Ball
wegzuköpfen. Dies gelingt ihm
allerdings nicht. Der Verteidiger
gerät in Rücklage und köpft den
Ball dabei dem Stürmer in den
Laufweg, der so ein korrektes Tor
erzielen kann
(
Foto 4b)
.
Entscheidend bei dieser Szene
ist, dass der Verteidiger zum Ball
hingeht und die klare Absicht hat,
den Ball spielen zu wollen. Somit
wird die ursprüngliche Abseits-
stellung des Angreifers aufgeho-
ben.
Denn: Der Verteidiger sieht den
Ball lange genug auf sich zukom-
men und entscheidet sich dann
dafür, ihn zu spielen. Was hinzu
kommt und auf dem Standbild
nicht zu erkennen ist: Der Vertei-
diger hat sogar Zeit, sich wäh-
rend der Flugphase des Balles
mehrere Meter zu bewegen und
zu positionieren.
Völlig unerheblich bei solch einer
Situation ist, dass dem Verteidi-
ger die Abwehraktion misslingt
und der Stürmer „einen Vorteil
daraus ziehen“ kann. Es geht bei
der Abseits-Bewertung allein um
die Frage, ob der Abwehrspieler
die Absicht hat, den Ball zu spie-
len oder nicht.
Abschließend sei an dieser Stelle
noch ein Spezialfall zur Abseits-
Auslegung aufgeführt. Und zwar:
Versucht ein Abwehrspieler durch
seinen Spieleingriff einen Tor-
schuss abzuwehren, dann wird er
in diesem Fall dem Torhüter
gleichgestellt.
Was das konkret bedeutet,
erkennt man anhand der letzten
beiden Fotos: Der Stürmer Nr. 10
(
rotes Trikot) schießt den Ball von
der Strafraumlinie aufs Tor
(
Foto 5a)
.
Währenddessen steht
ein roter Mitspieler oberhalb des
Torraums in einer Abseitsposi-
tion. Würde der Schuss zum Bei-
spiel im Tor landen, dann hätte
diese Abseitsstellung für das
Spielgeschehen keinerlei Rele-
vanz.
Es kommt allerdings anders: Wie
im etwas unscharfen
Foto 5b
zu
erkennen ist, wird der Torschuss
durch einen blauen Verteidiger,
der auf der Torraumlinie postiert
ist, abgewehrt und dabei zur
Seite abgelenkt. Der zuvor im
Abseits postierte Stürmer kommt
an den Ball und schießt ihn ins
Tor – das vom Schiedsrichter zu
Recht nicht anerkannt wird.
Beim Eingriff des Verteidigers,
der in der unmittelbaren Schuss-
bahn des Balles steht, handelt es
sich um eine Torabwehrreaktion.
Der Eingriff des Verteidigers wird
dann genauso gewertet, als ob
zum Beispiel der Torhüter den
Ball beim Torschuss zum abseits
stehenden Stürmer weggefaustet
hätte – dann hätte der Assistent
ja auch, völlig zu Recht, die Fahne
gehoben. Der Verteidiger wird
also in solchen Fällen grundsätz-
lich dem Torhüter gleichgestellt.
Kurz erwähnt seien an dieser
Stelle noch die zwei weiteren
„
Regeländerungen“, die auch
ohne Bildmaterial verständlich
sein sollten:
■
So wird ein Spieler auf jeden Fall
mit einer Gelben Karte bestraft,
wenn er einen Schuss auf das
eigene Tor mit der Hand aufhält.
■
Und bei „Notbremsen“ durch den
Torwart passen sich die DFB-
Schiedsrichter der von der FIFA
vorgegebenen Regelung an.
Demnach zieht eine „Notbremse“
automatisch einen Feldverweis
nach sich. In der Vergangenheit
war ein Torhüter, wenn er in einer
torwarttypischen Aktion im Straf-
raum zum Ball gegangen war und
die Chance hatte, diesen zu spie-
len, bei einer Torverhinderung in
der Bundesliga nur verwarnt
worden.
■
Foto 4a
Foto 4b
Foto 5a
Foto 5b