21
S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 6 / 2 0 1 2
die schnelle Abfolge des Gesche-
hens hatte der Schiedsrichter
keine Möglichkeit, Huszti zu ver-
warnen, bevor er den Zaun
erklomm. Also konnten beide Ver-
gehen vom Schiedsrichter erst im
Anschluss an die Aktionen des
Spielers sanktioniert werden.
Vergleichen wir dies mit einem
verletzten Spieler, der am Spiel-
feldrand behandelt wird, plötzlich
ohne Genehmigung auf das Spiel-
feld läuft und ein verwarnungs-
würdiges Foul begeht, so erkennen
wir schnell, dass ein Eingreifen des
Schiedsrichters im Sinne des Anlie-
gens von Hannover 96 gar nicht
möglich ist. Auch dieser Spieler
würde erst nach seinem Foul mit
„
Gelb/Rot“ des Feldes verwiesen
werden – mit „Gelb“ für das uner-
laubte Betreten des Spielfelds und
einer weiteren Verwarnung für das
Foul.
Bleibt also festzuhalten, dass
Schiedsrichter Deniz Aytekin völlig
richtig gehandelt hat. Er hatte kei-
nen Ermessensspielraum und
musste den Regeln Geltung ver-
schaffen. Dass er das dem Spieler
gegenüber mit einer verständ-
lichen Körpersprache tat, spricht
für ihn.
Letztlich ist es nicht die Aufgabe
des Schiedsrichters, im Spiel über
die Sinnhaftigkeit von Regeln
nachzudenken oder sie gar blitz-
artig zu modifizieren. Er ist als
„
Exekutive“ für die Umsetzung der
Regeln auf dem Spielfeld zustän-
dig. Für eine Änderung muss von
den Beteiligten die „Legislative“
bemüht werden. Im Fußball ist das
der International Football Associa-
tion Board (IFAB).
Was in der öffentlichen Diskussion
zu kurz kam: Warum gibt es
eigentlich diese beiden Bestim-
mungen?
●
„
Gelb“ fürs Trikotausziehen: Der
International Board hält das für
„
übertriebenen Torjubel“, bei dem
er auch den Respekt für den Geg-
ner vermisst. Dazu kommt, dass
dabei häufig der nackte Oberkör-
per zu sehen ist, was mit den kul-
turellen und religiösen Gepflogen-
heiten in manchen FIFA-Mitglieds-
ländern nicht vereinbar ist.
●
„
Gelb“ fürs Zaunklettern: Hier
lautet die Begründung „Präven-
tion“. Nehmen wir zum Beispiel
eine Meldung vom Europa-League-
Spiel FC Villareal gegen SSC Nea-
pel (24. Februar 2011): „Nach dem
1:0
der Gäste aus Italien durch
Marek Hamsik in der 17. Minute
brach beim Torjubel der mitgereis-
ten Napoli-Fans im Gästeblock des
Stadions El Madrigal ein Zaun aus
der Verankerung. Fans, die sich an
den Zaun gekrallt hatten, stürzten
über die Brüstung. Weitere
Zuschauer aus den hinteren Rei-
hen wurden mitgerissen.“ Zum
Glück gab es dabei nur drei Ver-
letzte.
Fazit: Die Fußballregeln gelten
nun einmal weltweit und müssen
deshalb auch Konventionen und
Bedingungen berücksichtigen, die
in unserer hochtechnisierten und
oft auch emotionalisierten
Bundesliga-Szene vielen Beteilig-
ten weltfremd erscheinen. Wobei:
Ist es wirklich so unwahrschein-
lich, dass auch hier mal ein Zaun
zusammenbricht, weil die Fans
unbedingt ihren „Helden“ auf der
anderen Seite berühren wollen?
gespielt und von diesem aufge-
nommen wurde.
BUNDESLIGA, 3. SPIELTAG
■
Borussia Mönchengladbach –
1.
FC Nürnberg
Von einigen kniffligen „Hand“-Ent-
scheidungen, die an diesem Spiel-
tag zu fällen waren, wollen wir eine
zum Schluss etwas genauer
beleuchten. Es läuft die 90. Minute,
und die Gastmannschaft führt 3:2.
Eine Flanke, die von rechts in den
Nürnberger Strafraum fliegt, will
der Gladbacher Stranzl mit dem
Kopf verlängern. Allerdings verfehlt
er den Ball
(
Foto 8a),
der dem hin-
ter ihm stehenden Timm Klose an
den rechten Arm fliegt.
Obwohl eine Bewegung dieses Arms
gut zu erkennen ist, liegt Schieds-
richter Christian Dingert mit seiner
Entscheidung „weiterspielen“ völlig
richtig. Denn Klose bewegt seinen
Arm eben nicht zum Ball und auch
nicht nach außen, um seine Körper-
fläche zu „vergrößern“, sondern
zieht ihn nach hinten weg, um das
Handspiel zu vermeiden
(
Foto 8b).
Insofern macht der Nürnberger hier
schon etwas mit Absicht, aber es ist
das genaue Gegenteil von dem, was
zu einem Pfiff des Schiedsrichters
führen müsste.
■
Über Brouwers hinweg fliegt der Ball auf den Nürnberger … … Klose zu, der den Arm schnell nach hinten zieht.
Alle wollen den Torschützen Huszti berühren, der sich an den
Zaun klammert.
Foto 8a
Foto 8b