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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 6 / 2 0 1 2
die schnelle Abfolge des Gesche-
hens hatte der Schiedsrichter
keine Möglichkeit, Huszti zu ver-
warnen, bevor er den Zaun
erklomm. Also konnten beide Ver-
gehen vom Schiedsrichter erst im
Anschluss an die Aktionen des
Spielers sanktioniert werden.
Vergleichen wir dies mit einem
verletzten Spieler, der am Spiel-
feldrand behandelt wird, plötzlich
ohne Genehmigung auf das Spiel-
feld läuft und ein verwarnungs-
würdiges Foul begeht, so erkennen
wir schnell, dass ein Eingreifen des
Schiedsrichters im Sinne des Anlie-
gens von Hannover 96 gar nicht
möglich ist. Auch dieser Spieler
würde erst nach seinem Foul mit
Gelb/Rot“ des Feldes verwiesen
werden – mit „Gelb“ für das uner-
laubte Betreten des Spielfelds und
einer weiteren Verwarnung für das
Foul.
Bleibt also festzuhalten, dass
Schiedsrichter Deniz Aytekin völlig
richtig gehandelt hat. Er hatte kei-
nen Ermessensspielraum und
musste den Regeln Geltung ver-
schaffen. Dass er das dem Spieler
gegenüber mit einer verständ-
lichen Körpersprache tat, spricht
für ihn.
Letztlich ist es nicht die Aufgabe
des Schiedsrichters, im Spiel über
die Sinnhaftigkeit von Regeln
nachzudenken oder sie gar blitz-
artig zu modifizieren. Er ist als
Exekutive“ für die Umsetzung der
Regeln auf dem Spielfeld zustän-
dig. Für eine Änderung muss von
den Beteiligten die „Legislative“
bemüht werden. Im Fußball ist das
der International Football Associa-
tion Board (IFAB).
Was in der öffentlichen Diskussion
zu kurz kam: Warum gibt es
eigentlich diese beiden Bestim-
mungen?
Gelb“ fürs Trikotausziehen: Der
International Board hält das für
übertriebenen Torjubel“, bei dem
er auch den Respekt für den Geg-
ner vermisst. Dazu kommt, dass
dabei häufig der nackte Oberkör-
per zu sehen ist, was mit den kul-
turellen und religiösen Gepflogen-
heiten in manchen FIFA-Mitglieds-
ländern nicht vereinbar ist.
Gelb“ fürs Zaunklettern: Hier
lautet die Begründung „Präven-
tion“. Nehmen wir zum Beispiel
eine Meldung vom Europa-League-
Spiel FC Villareal gegen SSC Nea-
pel (24. Februar 2011): „Nach dem
1:0
der Gäste aus Italien durch
Marek Hamsik in der 17. Minute
brach beim Torjubel der mitgereis-
ten Napoli-Fans im Gästeblock des
Stadions El Madrigal ein Zaun aus
der Verankerung. Fans, die sich an
den Zaun gekrallt hatten, stürzten
über die Brüstung. Weitere
Zuschauer aus den hinteren Rei-
hen wurden mitgerissen.“ Zum
Glück gab es dabei nur drei Ver-
letzte.
Fazit: Die Fußballregeln gelten
nun einmal weltweit und müssen
deshalb auch Konventionen und
Bedingungen berücksichtigen, die
in unserer hochtechnisierten und
oft auch emotionalisierten
Bundesliga-Szene vielen Beteilig-
ten weltfremd erscheinen. Wobei:
Ist es wirklich so unwahrschein-
lich, dass auch hier mal ein Zaun
zusammenbricht, weil die Fans
unbedingt ihren „Helden“ auf der
anderen Seite berühren wollen?
gespielt und von diesem aufge-
nommen wurde.
BUNDESLIGA, 3. SPIELTAG
Borussia Mönchengladbach –
1.
FC Nürnberg
Von einigen kniffligen „Hand“-Ent-
scheidungen, die an diesem Spiel-
tag zu fällen waren, wollen wir eine
zum Schluss etwas genauer
beleuchten. Es läuft die 90. Minute,
und die Gastmannschaft führt 3:2.
Eine Flanke, die von rechts in den
Nürnberger Strafraum fliegt, will
der Gladbacher Stranzl mit dem
Kopf verlängern. Allerdings verfehlt
er den Ball
(
Foto 8a),
der dem hin-
ter ihm stehenden Timm Klose an
den rechten Arm fliegt.
Obwohl eine Bewegung dieses Arms
gut zu erkennen ist, liegt Schieds-
richter Christian Dingert mit seiner
Entscheidung „weiterspielen“ völlig
richtig. Denn Klose bewegt seinen
Arm eben nicht zum Ball und auch
nicht nach außen, um seine Körper-
fläche zu „vergrößern“, sondern
zieht ihn nach hinten weg, um das
Handspiel zu vermeiden
(
Foto 8b).
Insofern macht der Nürnberger hier
schon etwas mit Absicht, aber es ist
das genaue Gegenteil von dem, was
zu einem Pfiff des Schiedsrichters
führen müsste.
Über Brouwers hinweg fliegt der Ball auf den Nürnberger … … Klose zu, der den Arm schnell nach hinten zieht.
Alle wollen den Torschützen Huszti berühren, der sich an den
Zaun klammert.
Foto 8a
Foto 8b