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RELIGIÖSE VORSCHRIFTEN
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sich heute insbesondere bei Mädchen aus muslimischen Familien, die in deutschen Vereinen deutlich
unterrepräsentiert sind. Hier sind Trainer/innen und Vereinsfunktionär/innen gefragt, um bei
Spielerinnen und ihren Familien um Vertrauen zu werben. Sensibilität für religiöse Fragen und inter-
kulturelle Kompetenz zahlen sich aus. Fragen und Vorbehalten sollte mit aller Offenheit begegnet und
das Gespräch gesucht werden. Wenn eine Spielerin statt kurzer Hosen lieber lange Trainings- und
Spielbekleidung trägt, ist dies kein Problem. Auch das Kopftuch stellt kein Hindernis für den Trainings-
und Spielbetrieb dar, wenn es sich um ein spezielles Sportkopftuch handelt. Bis zu einer abschließen-
den Klärung durch die FIFA sollen Mädchen und Frauen mit Kopftuch in Deutschland nicht am Spielen
gehindert werden. Wer aus religiöser Überzeugung oder persönlichem Schamgefühl nur bekleidet
oder erst zu Hause duschen möchte, sollte respektiert werden. Normalerweise lassen sich religiöse
Vorschriften und Fußball vereinbaren.
Die beste Überzeugungsarbeit bietet die Teilhabe. Eltern oder Verwandte können in das Vereinsleben
eingebunden werden und so aktiv am Erfolg ihres Kindes und des Teams partizipieren. Gemeinsame
Feste bieten dafür eine gute Gelegenheit. Allerdings ist dabei zu beachten, dass verschiedene
Religionen verschiedene Speisevorschriften kennen. So achten Muslime darauf, dass ihre Nahrung
halal ist, während Juden sich koscher ernähren. Beiden ist der Verzehr von Schweinefleisch verboten.
Hindus dagegen dürfen kein Rindfleisch essen, da die Tiere als die Verkörperung einer Gottheit ange-
sehen werden. Muslime verzichten zudem teilweise auch auf Alkohol. Eine angemessene Auswahl an
Speisen und Getränken bei Vereinsfeiern, ist deshalb eine Frage des gegenseitigen Respekts. Ob
Ostern, Ramadan, Pessach oder Vesakh – alle religiösen Feste sind mit eigenen Traditionen und
Bräuchen verbunden. Oft gehören besondere Gebete, Festtagsgerichte oder Geschenke dazu. Für
Mitspieler/innen, die ihre Festtage achten, sollte Verständnis aufgebracht werden. Glückwünsche kön-
nen ebenfalls positiv aufgefasst werden.
Heute spielen Menschen mit ganz unterschiedlichem Glauben im gleichen Team oder begegnen sich
als Kontrahenten am Spieltag. Der Sportplatz und das Vereinsheim bieten damit Orte des interkultu-
rellen Lernens, Austausches oder sogar des gemeinsamen Feierns religiöser Feste. Allerdings sollten
religiöse Unterschiede nicht überbetont werden. Menschen mögen bestimmte Glauben haben, in ers-
ter Linie bleiben sie jedoch Individuen und damit einzigartig. Gegen Verallgemeinerungen und
Diskriminierungen, sollte deshalb energisch eingeschritten werden.
Links:
Religions- und Gewissensfreiheit gehören zu den elementaren Grund- und Menschenrechten, die für
Staatsbürger/innen und Ausländer/innen gleichermaßen gelten. Der Artikel 4 des Deutschen
Grundgesetzes (GG §4 (1)) lautet: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des reli-
giösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Der Staat garantiert seinen
Bürger/innen „die ungestörte Religionsausübung“ und verpflichtet sich zu Neutralität und Toleranz.
Allerdings müssen die Religionsgemeinschaften geltende Gesetze respektieren und dürfen keinen
Zwang ausüben. Die Befolgung von religiösen Vorschriften und die Bedeutung des Glaubens für das
alltägliche Leben sind sehr individuell. Bisweilen wird übersehen, dass Religion zwar ein wichtiger, aber
keineswegs der einzige Bezugspunkt für Handeln und Identität ist. Menschen definieren sich schließ-
lich nicht allein über ihre Religionszugehörigkeit. Und selbstverständlich gibt es viele Menschen, die
nicht glauben wollen oder denen religiöse Fragen nicht lebensrelevant erscheinen. Auch für sie gilt die
Glaubensfreiheit.
Die religiöse Orientierung von Kindern wird entscheidend von ihren Eltern geprägt. Meist ergibt sich
die Religion auch aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe. Ab dem
14.
Lebensjahr ist die Wahl der Religion jedoch eine freie Entscheidung des Kindes. Gläubige Eltern
müssen ihr Kind im Übrigen auch dann zur Schule schicken, wenn sie mit den Inhalten des Biologie-,
Sexualkunde- oder Sportunterrichts nicht einverstanden sind.
Über Formen, Grenzen und Einfluss von Glauben und Religion wird immer wieder heftig diskutiert. Das
gilt für das Kruzifix in bayerischen Schulen ebenso wie für das Kopftuch muslimischer Frauen.
Es zeichnet sich jedoch eine zunehmende interkulturelle und interreligiöse Öffnung der
Religionsgemeinschaften ab. Der Dialog der Religionen steht dabei auch unter dem Eindruck gemein-
samer Herausforderungen wie Migration und Integration, die kulturelle und religiöse Pluralisierung der
Gesellschaft, aber auch interreligiöser Konflikte, fundamentalistische Intoleranz und Gewalt.
Vertreter/innen verschiedener Religionsgemeinschaften schaffen zunehmend einen Dialog, der
gegenseitigen Respekt, Anerkennung und das friedliche Zusammenleben in Deutschland fördern und
gemeinsame Werte betonen soll.
Bedeutung für den Fußball:
Ein Blick in die Sportgeschichte zeigt, dass viele sportliche Betätigungen ursprünglich auf kultische
Leibesübungen zurückzuführen sind. Religion und ihre Vorschriften haben das Verständnis des
menschlichen Körpers also nachhaltig geprägt. Noch heute haben das Training von Körper und Geist
einen hohen Stellenwert für die religiöse Praxis vieler Glaubensgemeinschaften, zum Beispiel bei
buddhistischen Meditationsübungen, dem Derwisch-Tanz der Sufis oder beim muslimischen Gebet.
Aber auch abseits der Gebetsstätten wurde Sport getrieben. Grundsätzlich lässt sich von einem posi-
tiven Verhältnis der meisten Religionen zum Sport sprechen.
Allerdings hat sich das Sportgeschehen seitdem stark verändert. Und obwohl Fußball ein weltweit ver-
breiteter Sport ist, verträgt er sich nicht immer mit religiösen Vorstellungen. Besonders dem
Frauensport stehen einige Menschen misstrauisch oder ablehnend gegenüber. Widerstände zeigen
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