INTEGRATION A–Z
KULTUR
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Erfahrungen mit Fremdheit. Fremdenfeindlichkeit ist nur ein extremer Ausdruck des Unbehagens über
diese Entwicklung. Fremdheit und Ängste können weder durch kulturelle Assimilation noch
Segregation (zum Beispiel in sogenannten „Parallelgesellschaften“) aus der Welt geschaffen werden.
Kultur wird teilweise undifferenziert als Leitmotiv gesellschaftlicher Integration betrachtet, obwohl die
kulturelle Integration neben struktureller, sozialer und identifikatorischer Integration nur eine von
mehreren Ebenen von Integration darstellt. Einerseits können kulturelle Prägungen manchmal unter-
schätzt oder herabgesetzt werden und so Diskriminierungen oder Missverständnisse entstehen.
Andererseits werden mitunter bestimmte Eigenschaften oder Probleme, zum Beispiel sozialer
Ungleichheit, „kulturalisiert“. Im Sinne dieser Logik wird Armut als kulturelle Schwäche gedeutet
und Kultur zu einer Stigmatisierung, die weder Raum für Entwicklung, noch Chancen für einen Dialog
bietet.
Integration, verstanden als ein wechselseitiger Prozess, zielt weder auf eine Ablehnung oder
Hierarchisierung, noch auf eine dauerhafte Verfestigung von kulturellen Unterschieden. Ihr Ziel ist die
Förderung einer gemeinsamen Kultur der Anerkennung, die auf einer Anerkennung von kulturellen
Unterschieden gründet. Integration bedeutet sowohl für Migrant/innen als auch für die
Aufnahmegesellschaft, ihre eigenen Traditionen, Werte und Normen zu hinterfragen. Integration hat
dann die größten Chancen auf Erfolg, wenn sie auf Anerkennung, Teilhabe und Interaktion setzt.
Interaktionistische Integration toleriert nicht kulturelle Unterschiede, sie will zugleich Räume für
Gemeinsamkeiten und Verständigung schaffen. Integration ist ein langfristiger und nachhaltiger
Prozess ohne festen Endpunkt, denn Kulturen sind nicht isoliert oder statisch, sondern flexibel und
veränderlich. Kulturelle Traditionen, Mentalitäten und Werte prägen die Gesellschaft, aber neue
Einflüsse und Veränderungen von innen und außen verändern das Zusammenleben und die Kultur.
Deshalb verfolgt Integration die Gestaltung gemeinsamer Bereiche von Kultur in der Musik, der Kunst,
der Politik oder im Sport.
Bedeutung für den Fußball:
Als unter Kultur noch vorwiegend Kunst und Theater subsumiert wurden, galt der Fußball als wenig
kultiviert. Inzwischen wird Fußball als eine Kultur mit eigenen Regeln, Ritualen und Prägungen aner-
kannt. Das gleiche Spiel hat regional sehr unterschiedliche Fußball-, Spiel- und Fankulturen hervorge-
bracht. So sind gerade die Unterschiede zwischen deutschen oder englischen, brasilianischen oder
ghanaischen Spielweisen eine große Bereicherung für Spieler/innen und ihre Anhänger/innen. Zu
jedem Spieltag, von der Kreisliga bis zur Nationalmannschaft, kommen Menschen verschiedener
Herkunft auf den Fußballplätzen der Republik zusammen. Die kulturelle Vielfalt des Fußballs im Großen
wie im Kleinen ist seine Besonderheit und Stärke, aber auch seine Verantwortung.
Ein wissenschaftlicher Ansatz unterscheidet zwischen Sportkultur und Kultur des Sports, oder über-
tragen auf den Fußball, zwischen Fußballkultur und Kultur des Fußballs. Fußballkultur ist das, was
Fußballspieler/innen tun, wie sie darüber denken und wie sie ihrem fußballerischem Handeln einen
Sinn geben.
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Also die positiven (zum Beispiel Fairplay) als auch die negativen (zum Beispiel Foulspiel)
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Grupe, Ommo (2000), „Vom Sinn des Sports. Kulturelle, pädagogische
und ethische Aspekte.“, Schorndorf
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Kultur
Definition:
Das Wort Kultur geht auf den lateinischen Begriff Colere zurück und bezeichnete das Kultivieren eines
Stück Landes. Unter Kultur wurde also etwas von Menschenhand Geschaffenes oder Gestaltetes
verstanden. Noch heute wird Kultur oft als Gegensatz zur Natur gesehen. Den meisten Definitionen
liegt die Annahme zu Grunde, dass alle Menschen dieselben physischen und psychischen
Grundvoraussetzungen und Bedürfnisse teilen. Was uns dagegen voneinander unterscheidet, sind die
vielfältigen Formen von Kultur.
Kultur ist ein schwieriger und facettenreicher Begriff mit engen und weiten Definitionen. Eine enge
Definition wäre beispielsweise, Kultur als Hochkultur in Form von Kunst, Musik und Theater oder „kul-
tivierter“ Sitten und Umgangsformen zu verstehen. In der Wissenschaft haben sich jedoch überwie-
gend weite Definitionen durchgesetzt, die Kultur als die Gesamtheit menschlicher Lebensweisen
beschreiben. Kultur besteht sowohl aus materiellen (zum Beispiel Körper, Sozialstruktur, Kleidung,
Kunst, Nahrungsmittel, etc.) wie ideellen Bestandteilen (zum Beispiel Sprache, Ethnizität, Religion,
Wissen, Werte, Emotionen, etc.), die durch Gruppen von Menschen in sinnhafte Beziehungen gesetzt
werden und sich zu einem eigenen Symbol- und Bedeutungssystem zusammensetzen. Kultur ist also
eine durch den Menschen selbst konstruierte Realität. Sie ist das, was Menschen tun, wie sie darüber
denken und wie sie den Dingen Sinn verleihen.
Ein bestimmendes Merkmal von Kultur ist ihre Veränderlichkeit. Sie ist keine biologische Tatsache,
sondern wird im Laufe des Lebens durch die Sozialisation innerhalb einer Gruppe erworben und durch
Traditionen, Wissen, Sprache usw. von Generation zu Generation weitergegeben. Kultur wird intersub-
jektiv von Menschen einer Gruppe, Gemeinschaft oder Gesellschaft geteilt. Das Bewusstsein einer
gemeinsamen Kultur verleiht kollektive Identität. Der einzelne Mensch steht also in einem
Wechselverhältnis zu seinem Umfeld. Er prägt die Kultur seiner Umgebung ebenso, wie seine kulturelle
Umgebung ihn prägt. Die kulturelle Herkunft bestimmt die Wahrnehmung, das Denken und Handeln
des Einzelnen mit. Vielen erscheint „die eigene Kultur“ als scheinbar unhinterfragbare Normalität.
Allerdings verschieben sich die Grenzen zwischen „eigener“ und „fremder“ Kultur beständig. Kulturen
sind ständigen Austausch-, Innovations- und Wandelprozessen ausgesetzt.
Gesellschaftliche Bedeutung:
Statt von Kultur wird heute häufig von Kulturen gesprochen. Durch weltweite Migration, aber auch
durch Mobilität und Vernetzung im Zuge verbesserter technischer Möglichkeiten, ist die Welt im letz-
ten Jahrhundert näher zusammen gerückt. Viele der heutigen Gesellschaften sind in ihrer sozialen
Lebenswirklichkeit vielfältig und kulturell pluralistisch.
Insbesondere die großen Städte haben sich zu multikulturellen Zentren entwickelt, in denen Menschen
verschiedener kultureller Herkunft und Abstammung aus aller Welt, allen Schichten und aus Stadt und
Land zusammentreffen. Kulturelle Vielfalt ist eine gesellschaftliche Bereicherung, doch mit ihr
wächst auch die Schwierigkeit unterschiedlichen kulturellen Bedürfnissen und Ansichten ohne
Diskriminierung gerecht zu werden. Die Mitglieder multikultureller Gesellschaften machen zuweilen