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Bekleidungsvorschriften, Bildungsdefizite oder mangelnde Informationen über die Vereine werden zur
Begründung herangezogen. Teilweise müssen kulturelle Hürden überwunden und strukturelle
Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Vereine, Trainer/innen und Betreuer/innen sollten um
Vertrauen werben, um innerfamiliären Spannungen oder Identitätskonflikten, die durch die Sport-
oder Fußballbegeisterung der Töchter entstehen können, vorzubeugen. Den unterschiedlichen
Sporttraditionen, Körperverständnissen oder religiösen Vorschriften sollte Beachtung geschenkt wer-
den. Einige Sportvereine reagieren darauf beispielsweise mit einer Anpassung ihrer sportlichen
Angebotspalette oder kooperieren mit Schulen und Freizeitstätten.
Vereine können als Vermittler zwischen Aufnahmegesellschaft und Migrant/innen fungieren. Im
Idealfall bieten Sportvereine Räume für persönliche Entfaltung, Interaktion und soziale Integration,
denn gemeinsames Sporttreiben kann Vertrauen und kulturellen Austausch fördern. Die Aktivität im
Sportverein verbessert die individuellen Chancen auch in anderen Bereichen. Der gemeinsame Sport
fördert soziale Kompetenzen, die auch in anderen Bereichen der Gesellschaft wichtig sind, zum
Beispiel Sprachkompetenz. Besonders für jüngere Spieler/innen sind Vereine wichtige
Sozialisationsorte, wo soziale Verantwortung eingeübt und das eigene Verhalten an gültige Werte und
Normen angepasst werden kann. Sport hat das Potenzial, das nötige Selbstbewusstsein zu vermitteln,
sich auch in anderen Bereichen der Gesellschaft zu engagieren. Im Sport erfahrene Anerkennung
wirkt sich positiv auf die individuelle Zufriedenheit aus und fördert gesellschaftliche Identifikation.
Soziale Kontakte können außerhalb des Spielfeldes weitergeführt und vertieft werden. Freundschaften
zwischen Spieler/innen verschiedener sozialer und kultureller Herkunft unterstreichen Gemeinsam-
keiten und überbrücken Unterschiede. Positive Erfahrungen im Verein fördern eine Wahrnehmung, die
kulturelle Vielfalt als Bereicherung und Integration als ein erstrebenswertes Ziel wahrnimmt.
Chancen und Probleme des „Integrationsmotors Fußball“ liegen allerdings dicht beieinander, denn
Fußball wird nicht nur miteinander, sondern auch gegeneinander gespielt. Die Spannung guter
Fußballspiele ergibt sich aus der Rivalität der Teams. Der Wettstreit um sportliche Dominanz wird
jedoch von einigen gelegentlich als Kampf um soziale oder kulturelle Vorherrschaft gedeutet. Dann
werden gesellschaftliche Konflikte auf dem Fußballplatz weitergeführt, beispielsweise, wenn sich
Teams unterschiedlicher ethnischer Herkunft begegnen. Einige sehen den Fußball zudem als
Plattform, um ihre fremdenfeindlichen, homophoben, rassistischen oder antisemitischen Ansichten zu
artikulieren. In diesen Fällen stehen Menschen im Fußball der Integration im Wege. Verständigung und
Akzeptanz muss gefördert werden. Integration im Sport ist kein Automatismus, sondern erfordert die
Verinnerlichung der zentralen Botschaft des DFB „Integration fängt bei mir an!“.
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Verständigung. Wichtige Bereiche der Gesellschaft wie Politik, Kultur und Sport sollten gemeinsam
gestaltet werden.
Dabei hilft das Bewusstsein, dass Integration nicht „von allein“ stattfindet. Integration ist eine
Gemeinschaftsaufgabe, bedeutet aber auch eine persönliche Anstrengung. Jeder Einzelne ist aufge-
fordert, durch seine Beteiligung an Entscheidungs- und Verständigungsprozessen Integration zu
ermöglichen. Partizipation und Anerkennung gehen dabei Hand in Hand. Wer von Anfang an eingebun-
den ist und seine eigenen Standpunkte zu hinterfragen weiß, lernt auch abweichende Meinungen oder
kulturelle Auffassungen zu akzeptieren. Integration und die Entwicklung interkultureller Kompetenz
gehören zusammen. Ein Integrationsziel sollte daher sein, individuelle Entfaltung ebenso zu ermögli-
chen, wie kulturelle Zugehörigkeit und gesellschaftliche Identifikation.
Integration ist ein langfristiger und nachhaltiger Prozess ohne festen Endpunkt, denn Gesellschaften
sind keine statischen Gebäude, sondern flexibel und veränderlich. Kulturelle Traditionen, Mentalitäten
und Werte prägen die Gesellschaft, aber neue Einflüsse und Veränderungen von innen und außen stel-
len diese immer wieder auf die Probe und beeinflussen das Zusammenleben und die Kultur.
Die verschiedenen Ebenen von Integration bedingen sich gegenseitig. Identifikation ist ohne soziale
Integration schwer vorstellbar. Soziale Integration ist wiederum von Rahmenbedingungen abhängig.
Dazu gehören insbesondere eine gemeinsame Sprache und die Einhaltung von verbindlichen Regeln
des Zusammenlebens, insbesondere der Gesetze. Einen zentralen Schlüssel für Integration stellt
Bildung dar. Qualifizierung und Chancengleichheit im Ausbildungssystem sichern Migrant/innen
Partizipationschancen und führen zu gesellschaftlicher Anerkennung. Strukturelle und soziale
Integration muss gefördert werden, ohne neue Abhängigkeiten zu schaffen. Integrationsarbeit bedeu-
tet deshalb Hilfe zur Selbsthilfe sowie zu Empowerment und Eigeninitiative zu ermutigen und diese zu
ermöglichen.
Bedeutung für den Fußball:
Die Erwartungen an den Sport als Motor für Integration sind hoch. Integration im Sport lässt sich in
zwei Bereiche unterscheiden. Integration in den Sport heißt Menschen mit Migrationshintergrund zur
Teilnahme am Sportgeschehen und Mitgliedschaft in einem Sportverein zu bewegen. Integration durch
den Sport bedeutet, dass auch über den Sport hinaus Integration gefördert und persönliche und
gesellschaftliche Entwicklungen angestoßen werden.
Teilhabe zu fördern und damit die Möglichkeit für soziale und kulturelle Integration zu eröffnen, ist das
Ziel von Integration in den Sport. Menschen mit Migrationshintergrund, die bisher noch nicht aktiv
sind, sollen zur Teilhabe am organisierten Sport ermutigt werden. Die Chancen gerade für den Fußball
stehen gut, denn Fußball ist nicht nur in Deutschland die Sportart Nr. 1, sondern gehört weltweit zu den
beliebtesten Sportarten. Die Einstiegshürden scheinen niedrig, denn vielen ist Fußball bereits aus
ihren Herkunftsländern vertraut.
Allerdings gibt es auch Vorbehalte. Insbesondere Mädchen mit Migrationshintergrund sind in
deutschen Vereinen stark unterrepräsentiert. Traditionelle Geschlechterrollen, religiöse Körper- und