INTEGRATION A–Z
ETHNISCHE SPORTVEREINE
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Zuwanderung eingestellt waren. Sie knüpften nicht an die Lebenswelt der Menschen mit
Migrationshintergrund an und boten nicht das nötige Maß an Offenheit, um ihren Bedürfnissen
gerecht zu werden. Viele Sportler/innen fühlten sich in deutschen Vereinen unwohl, zum Beispiel auf-
grund religiös begründeter Vorbehalte, wie gegenüber dem Konsum von Alkohol. Das Erleben solch
kultureller und sozialer Differenzen, aber auch ein Gefühl sozialer Diskriminierung und fehlender
Chancengleichheit, führten dazu, dass sich erwachsene Einheimische und Zuwander/innen vermehrt
in getrennten Vereinen wiederfanden. Die Gründung eines eigenen Vereins schien wie eine konflikt-
freie Lösung, doch leider war bisweilen das Gegenteil der Fall. Die vermeintlichen kulturellen
Gegensätze verschärften sich dann, der Vorwurf der Segregation wurde laut und auf den Sportplätzen
kam es teilweise vermehrt zu Konflikten.
Aufgrund der Häufigkeit ethnisch gefärbter Konflikte im Amateurfußball sehen manche Beobachter in
ethnischen Sportvereinen eher ein Hindernis für Integration, als ein gelungenes Beispiel migran-
tischer Selbstorganisation.
35
Um die Frage zu beantworten, ob ethnische Sportvereine zwangsläufig zu Desintegration und
Segregation führen, sollten mögliche Missverständnisse ausgeräumt werden. Einige ethnische
Sportvereine blicken mittlerweile auf eine mehr als 30jährige Vereinsgeschichte zurück. Sie sind also
keine „Übergangslösung“. Entsprechend bezeichnet der Deutsche Sportbund in seiner neuen
Grundsatzerklärung zu Sport und Zuwanderung (2004) „die unterschiedlichen Mitwirkungsformen
von Migrantinnen und Migranten am deutschen Sport – eigenethnische wie gemischtethnische – glei-
chermaßen als selbstverständlich.“ Ethnische Sportvereine unterscheiden sich vereinsrechtlich nicht
von anderen Vereinen und sind fast ausnahmslos unter den Dächern der deutschen Sportverbände in
die Ligensysteme integriert.
Auch ihre Bezeichnung als „mono- oder eigenethnisch“ ist irreführend, da viele Vereine ihre mono-
ethnische Komponente verloren haben. Untersuchungen haben ergeben, dass gerade ältere
Sportler/innen mehrheitlich in eigenethnischen Sportvereinen Sport treiben. Der ursprüngliche
Herkunftsbezug ist jedoch bei den jungen Spieler/innen weniger entscheidend. Freundschaften oder
die Nähe zum Wohnort spielen dagegen für die Wahl des Vereins eine ausschlaggebende Rolle.
36
Es
wurde festgestellt, dass ethnische Differenzen im Fußballbereich umso unbedeutender werden, je
jünger die Spieler/innen sind und desto höher das Leistungsniveau ist.
37
Die ethnischen Vereine unterscheiden sich voneinander genauso wie die deutschen. Sie undifferen-
ziert als Weg in die Isolation anzusehen, wäre unangemessen.
38
Ob Vereine Integration fördern, hängt
von ihrem Zutun ab. Die Anerkennung kultureller Vielfalt, die Förderung interkultureller Kompetenz
und die Ermöglichung von Teilhabe durch offene Strukturen fördern Integration. Das gilt für ethnische
und deutsche Vereine. Allerdings verfolgen Sportvereine nicht primär den Zweck, gesamtgesellschaft-
liche Integrationsleistungen zu vollbringen, sondern Sport unter Freunden und Gleichgesinnten zu
ermöglichen. Ethnische Sportvereine sind daher „weder Ausdruck des Scheiterns der
Integrationsbemühungen der deutschen Sportvereine noch der Integrationsunwilligkeit der
Migrantinnen und Migranten“ (DSB, 2004).
Dennoch zeigen sich Unterschiede zwischen ethnischen und deutschen Vereinen. Teilweise fühlen sich
Mitglieder ethnischer Sportvereine als „Ausländer“ stigmatisiert und gegenüber anderen Vereinen
35
Klein, Marie- Luise; Kothy, Jürgen (Hrsg.) (1998): Ethnisch- kulturelle Konflikte im Sport. Hamburg.
36
Vgl.: Mutz, Michael/Stahl, Silvester (2010). Mitgliedschaft junger Migranten in eigenethnischen Sport-
vereinen - eine Sekundäranalyse auf Basis des Ausländersurveys. In: Sport und Gesellschaft, 7(2), 115-144.
37
Kalter, Frank (2003): Chancen, Fouls und Abseitsfallen. Migranten im deutschen Ligenfußball. Wiesbaden.
38
Vgl. Stahl, Silvester (2009). Selbstorganisation von Migranten im deutschen Vereinssport – Ein For-
schungsbericht zu Formen, Ursachen und Wirkungen. Köln.
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Ethnische Sportvereine
Definition:
Unter der Sammelbezeichnung ethnische Sportvereine findet sich heute eine Vielzahl ganz unter-
schiedlicher Vereine, mit diversen sportlichen, sozialen und kulturellen Hintergründen. Ab Mitte der
1960
er Jahre wurden diese Vereine durch „Gastarbeiter“ und andere Migrant/innen in der
Bundesrepublik und West-Berlin gegründet. So finden sich unter den ersten Vereinen viele, die auf tür-
kische, griechische, jugoslawische oder italienische Vereinsgründer/innen zurückgehen. Einige boten
dabei auch ungewöhnliche Sportarten in der Sporttradition ihrer Herkunftsländer an. Die meisten
Angebote gab es für auch in Deutschland beliebte Sportarten wie Fußball. Die ethnischen
Fußballvereine sind Vereine nach deutschem Vereinsrecht und Mitglieder des für ihren Bereich zustän-
digen DFB-Landesverbandes.
Gesellschaftliche Bedeutung:
Die ethnischen Vereine boten nicht nur sportliche Abwechslung vom oft einförmigen Alltag der
„
Gastarbeiter“, sie waren auch eine Anlaufstelle für Neuankömmlinge, die sich auf die alltägliche Hilfe
der Mitglieder, zum Beispiel als Dolmetscher, verlassen konnten. Die Vereine erfüllten über den Sport
hinaus nicht selten die Funktion eines „Heimatvereins“. Durch Vereinsnamen und -wappen wurde
diese Verbindung zur Heimatstadt oder Herkunftsregion der Vereinsgründer symbolisiert. Die
Vertretung gemeinsamer Interessen, die Förderung von Solidarität, Identität und heimatlicher Kultur,
aber auch der kulturelle Austausch mit deutschen Vereinen, waren in den Vereinssatzungen erklärte
Ziele. Für viele Migrant/innen boten die Vereine und der dazugehörige Spielbetrieb Chancen für erste
Begegnungen und Kontakte mit Einheimischen.
Die Vereinsheime wurden zu Treffpunkten der entstehenden ethnischen Communities. Sie boten einen
geschützten Raum, um heimatliche Traditionen und Bräuche weiterzuführen. In einem familiären
Umfeld wurden Neuigkeiten aus der Heimat ausgetauscht und neue Beziehungen geknüpft. Da die
Mehrzahl der „Gastarbeiter“ beabsichtigte, nach einigen Jahren wieder in die Heimat zurückzukehren,
befand sich die Mitgliederschaft in einem beständigen Wandel. Viele, aber längst nicht alle
Migrant/innen, nutzen das Angebot der ethnischen Vereine. Zahlreiche Ausländer/innen spielten in
„
deutschen“ Vereinen.
Bedeutung für den Fußball:
Eigenorganisationen und Vereine von Migrant/innen wurden von der Aufnahmegesellschaft lange Zeit
misstrauisch betrachtet. Sie wurden teilweise als bewusste Isolation gedeutet. Innerhalb der deut-
schen Sportverbände wurden die bisweilen als „Migranten- oder Ausländervereine“ bezeichneten
Klubs eher als „Übergangslösung“ toleriert. Zwar stellte die Einzelmitgliedschaft in einem „deut-
schen“ Verein für den Deutsche Sportbund (DSB) den Idealfall dar, die räumliche Konzentration der
Migrant/innen auf bestimmte Wohnbezirke strapazierte jedoch zunehmend die Kapazitäten der beste-
henden Vereine. Ethnische Sportvereine sollten insbesondere dort toleriert werden, wo den deutschen
eine „Überfremdung“ drohte, wie es der DSB noch 1981 in seine Grundsatzerklärung schrieb.
Die steigende Zahl von Neugründungen ethnischer Sportvereine im Laufe der 1980er und 1990er
Jahre zeigte, dass die bestehenden Vereine schlecht auf die gesellschaftlichen Veränderungen durch