INTEGRATION A–Z
ABSTAMMUNG
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Bedeutung für den Fußball:
Auch wenn sich die Primärbeziehungen zu Eltern und Verwandten stetig wandeln, prägen sie doch
wesentlich die soziale und somit auch die sportliche Entwicklung der Kinder. Verwandtschaftliche
Beziehungen haben großen Einfluss auf die Sportbeteiligung. Ist ein Familienmitglied bereits Mitglied
in einem Sportverein, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder, Brüder oder Schwestern ebenfalls
Mitglieder werden. Diese Pfadabhängigkeit bestimmt auch die Wahl der Sportart. War die Mutter eine
Turnerin, turnen auch die Kinder. Spielt der Vater Fußball, kickt auch der Nachwuchs. Viele Familien
bleiben so über Generationen „ihren“ Vereinen verbunden.
Von diesen Traditionen profitieren immer noch viele Vereine. Probleme entstehen jedoch, wenn der
nötige Nachwuchs fehlt oder es nicht gelingt, neue Vereinsmitglieder und Unterstützer zu gewinnen.
Schon jetzt sieht sich fast die Hälfte aller Sportvereine von der demographischen Entwicklung betrof-
fen, sei es, dass zu wenig junge Sportler/innen nachrücken, Trainer/innen fehlen oder Vereinsämter
nicht mehr besetzt werden können.
1
Die demographische Entwicklung zeigt auch, dass sich in Zukunft
immer mehr Sportler/innen mit Migrationshintergrund in den Vereinen finden werden.
Eine integrative Vereinsarbeit zeichnet dabei aus, neuen Einflüssen gegenüber aufgeschlossen zu sein
sowie auch kulturelle Besonderheiten und andere Sporttraditionen zu akzeptieren. Dies betrifft auch
unterschiedliche Vorstellungen von Familie und verwandtschaftlichen Rollenmustern. Insbesondere
die Beteiligung von Mädchen und Frauen am Sport wird durch Geschlechterrollen bestimmt, die
wesentlich durch die Familie geprägt werden. Gerade im Jugendbereich muss bei Eltern und
Verwandten von Mädchen mit Migrationshintergrund eher vertrauensvolle Überzeugungsarbeit
geleistet werden, um sie von der Mitgliedschaft ihrer Töchter im Verein zu überzeugen. Diese Eltern
sollten möglichst für die Vereinsarbeit gewonnen werden und das Vereinsleben, zum Beispiel auf
Festen oder bei Mannschaftsfahrten, aktiv mitgestalten. Damit werden Berührungsängste nachhaltig
abgebaut.
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Vgl.: Deutscher Olympischer Sportbund / Bundesinstitut für Sport-
wissenschaft (2006): Sportvereine und demografischer Wandel. Köln.
INTEGRATION A–Z
ABSTAMMUNG
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Abstammung
Definition:
Im engeren Sinne meint Abstammung die Zugehörigkeit zu einer Gruppe - einem „Stamm“ - aufgrund
verwandtschaftlicher Beziehungen. Die Erforschung dieser Beziehungen nennt sich Genealogie.
Abstammung wird zumeist durch Namensregelungen verdeutlicht. Umgangssprachlich wird
Abstammung auch für andere Formen, zum Beispiel sozialer, kultureller oder nationaler Herkunft,
Identifikation, Zugehörigkeit oder Verwandtschaftsglaubens (vgl. Ethnie) verwendet. Dabei verfügen
Menschen immer gleichzeitig über verschiedene Herkunftsbezüge, die sich zu einer unverwechsel-
baren persönlichen und kollektiven Identität zusammensetzen.
Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnisse ordnen soziale Beziehungen. Insbesondere in tradi-
tionellen Gesellschaften haben Abstammungsverhältnisse eine große Bedeutung, da sie wesentlich die
Regeln des Zusammenlebens bestimmen. Dann gilt Abstammung mitunter als Vorraussetzung für die
volle Anerkennung innerhalb der Gemeinschaft und begrenzt die individuellen Heiratsmöglichkeiten.
Bestimmte soziale Positionen können nur „durch Geburt“ erreicht werden. Mindestens ebenso wichtig
ist es, Abstammung für den Erhalt und Wandel von Kultur. Die Beziehung zu den Ahnen wird zumeist
als Verpflichtung angesehen, ihre Traditionen weiterzuführen und ihr kulturelles Erbe zu bewahren.
Ehrfurcht und Respekt werden in Ritualen ausgedrückt. Abstammung bedeutet also auch
Identifikation und kulturelle Identität.
Gesellschaftliche Bedeutung:
Abstammung ist auch in modernen Gesellschaften von Bedeutung. Im Familien- und Erbrecht wird die
Verwandtschaft von Menschen vorrangig durch die biologische Abstammung definiert. Eine Folge der
zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft ist jedoch, dass der Stellenwert der Familie - und
damit die Bedeutung der Abstammung - weiter abnimmt. Wäre in früheren Zeiten ein Leben außerhalb
eines Familienverbandes fast undenkbar gewesen, haben sich heute viele Menschen freiwillig oder
unfreiwillig von familiären Verbindungen und Verpflichtungen gelöst. Karriere, Unabhängigkeit und
Selbstverwirklichung gehören zu den häufigsten Gründen, warum sich familiäre Verbindungen lockern
oder sich teilweise Menschen bewusst gegen eigene Kinder entscheiden. Das zeigt auch die demo-
graphische Entwicklung in Deutschland. Statt von einem Zerfall könnte man eher von einem Wandel
des Familienbildes sprechen, denn unsere Gesellschaft ist auch hinsichtlich ihrer Familienstrukturen
offener und pluralistischer geworden. Neben die „klassische“ Familie sind andere Formen, wie
„
Patchwork“-Familien oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften getreten, die gleichermaßen
anerkannt werden. Hinzu kommen Familienstrukturen und Verwandtschaftsbeziehungen, die durch
Migrant/innen nach Deutschland gekommen sind. Gerade beim Thema Familie, und den mit ihr verbun-
denen Werten und Normen, zeigen sich kulturelle Unterschiede. Für einen Teil der Migrant/innen,
insbesondere aus ländlichen Herkunftsregionen, haben Abstammung, Verwandtschaft und Familie
einen höheren Stellenwert, als für weite Teile der deutschstämmigen Gesellschaft. Außerdem
kann Migration die Bedeutung verwandtschaftlicher Netzwerke sogar fördern, wenn es den
Integrationsprozess in der neuen Umgebung erleichtert.