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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 5 / 2 0 1 2
Report
Sport-Kommentatoren begrüßen die
Einführung der Torlinien-Technolo-
gie jedenfalls. Wir haben beim Sich-
ten der Äußerungen zwei Meinungs-
schwerpunkte festgestellt:
1.
Die Torlinien-Technik gilt, wenn sie
funktioniert, als gute Entschei-
dungshilfe für die Unparteiischen,
die eine Menge Druck von ihnen
nimmt.
2.
Bei der Einführung dieser Technik
sollte es allerdings auch bleiben, ein
Videobeweis“ wird skeptisch gese-
hen. Denn: Auch nach fünf Zeitlupen
werde die Beurteilung von Abseits
oder Fouls oft nicht eindeutig, ganz
im Gegenteil. Außerdem würde
durch einen Videobeweis der Cha-
rakter des Fußballspiels deutlich
verändert – man denke an die Spiel-
unterbrechungen, an die vielen
ungeklärten Fragen rund um einen
möglichen „Ober-Schiedsrichter“,
um die Anzahl der Unterbrechun-
gen oder auch die emotionalen Pro-
bleme, die sich in einer Spielruhe
zwischen den Akteuren ergeben
können.
Zu diesen beiden Gesichtspunkten
dokumentieren wir hier zum
Abschluss einige Meinungen, wie
sie unmittelbar nach der Entschei-
dung des IFAB gegenüber den
Medien geäußert wurden.
Ich finde die Entscheidung prima.
Das wird einen enormen Druck von
den Schiedsrichtern nehmen. Ich
habe schon vor Jahren gesagt, dass
die technische Hilfe bei der Ent-
scheidung über ein Tor ein Gewinn
für den Fußball ist.“ Herbert Fandel,
Vorsitzender der DFB-Schiedsrich-
ter-Kommission, gegenüber dem
Sport-Informations-Dienst (SID).
Solange dies eine reine Entschei-
dung für Tor oder Nicht-Tor ist,
unterstütze ich die Torlinien-Tech-
nik. Die Frage Tor oder kein Tor ist
eine Schwarz-Weiß-Entscheidung.
Um zu entscheiden, ob ein Ball drin
ist, muss man nicht Schiedsrichter
sein. Anders ist es bei der Beurtei-
lung von Foulspielen und anderen
Szenen: Hier ist die Fachkompetenz
des Schiedsrichters gefordert –
Technik würde die abschließende
Bewertung von Situationen auch
nicht immer eindeutiger machen.
Absolute Voraussetzung ist natür-
lich: Das System muss zu 100 Pro-
zent funktionieren.“ Lutz Wagner,
Mitglied der DFB-Schiedsrichter-
Kommission, gegenüber der Deut-
schen Presseagentur (dpa).
Vor allem wird mit der Technik
Druck von den Schiedsrichtern und
den Assistenten genommen, weil
die Entscheidungen mit menschli-
chem Auge manchmal nicht zu tref-
fen sind.“ Hellmut Krug, Schieds-
richter-Experte der Deutschen Fuß-
ball Liga (DFL), im WDR.
Ich bin allerdings dagegen, andere
Entscheidungen wie Abseits oder
Foulspiel mit technischen Hilfsmit-
teln zu bewerten. Das würde den
Charakter des Spiels doch zu sehr
verändern.“ Werder Bremens Vor-
standsvorsitzender Klaus Allofs
gegenüber der dpa.
Was ist der „IFAB“?
Der International Football Association Board (IFAB) trat am 2. Juni
1886
das erste Mal zusammen, um die damals noch wild wuchernden
Fußball-Regeln in Großbritannien zu vereinheitlichen. Diese Treffen
fanden von nun an jährlich statt, das Gremium wurde auf den briti-
schen Inseln allseits anerkannt.
Als im Jahr 1904 sich mehrere Nationalverbände in Paris zur FIFA
zusammenfanden, akzeptierte auch der neugegründete Weltverband
den IFAB als einzige Institution, die die Fußballregeln verändern darf.
Inzwischen ist die FIFA als stimmberechtigtes Mitglied zu den briti-
schen Verbänden hinzugekommen. England, Schottland, Wales und
Nordirland haben je eine Stimme, die FIFA vier.
Da ja der Fußball als Welt umfassender Sport zweifellos eine großar-
tige Erfolgsgeschichte ist, tritt der IFAB in punkto Regeländerungen
entsprechend vorsichtig und konservativ auf – und so lautet auch die
Maxime des IFAB in einer Selbstbeschreibung: „Warum gab es im
Laufe der Jahre so wenige Änderungen an den Regeln? Warum gilt
der IFAB als konservativ? Die Antwort darauf ist ebenso simpel wie
direkt: Die Attraktivität des Fußballs liegt in seiner Einfachheit. Und
als Hüter der Regeln versucht der IFAB, so gut wie möglich die Wur-
zeln zu bewahren, aus denen der Sport so spektakulär aufgeblüht
ist.“
Die IFAB-Mitglieder treffen sich seit 126 Jahren jeweils im Frühjahr,
um die von Nationalverbänden wie dem DFB oder der FIFA beantrag-
ten Regeländerungen zu diskutieren, zu beschließen oder abzuleh-
nen. Für die Annahme einer Regeländerung muss eine Dreiviertel-
Mehrheit zustandekommen – also sechs Stimmen. Die FIFA kann folg-
lich nichts im Alleingang festlegen, die vier britischen Verbände
allerdings auch nichts gegen die vier FIFA-Stimmen. Ein inzwischen
eingeführtes weiteres Treffen im Herbst dient der Beratung von Fra-
gen, die nicht unmittelbar Regeländerungen betreffen.
Die über 100 Jahre alte Institution IFAB fährt Jahr für Jahr damit
fort, den Fußball, dessen Essenz die Einfachheit ist, zu schützen und
zu bewahren“, heißt es in einem Porträt dieser Institution auf
FIFA.com. Vor diesem Hintergrund ist es auch zu erklären, warum
sich der International Board so schwer mit der Einführung techni-
scher Hilfsmittel tut, bei denen nach seiner Meinung die Gefahr
besteht, den Charakter des Fußballs nachhaltig zu ändern. Schon
allein das Treffen am 5. Juli in Zürich, um die Frage der Tor-Technolo-
gie zu entscheiden, war ja eine große Ausnahme vom normalen
Rhythmus. Das wird so schnell nicht wieder vorkommen.
Genau so wenig wie die Einführung von noch mehr Technik in den
Fußball. Englands Vertreter im IFAB, Alex Horne, machte sehr deut-
lich, dass es bei der Torlinien-Technologie bleiben werde: „Hier fan-
gen wir an, hier hören wir auf.“
Vier wichtige Buchstaben für den Fußball
Drin oder nicht drin? 2012 entschied Torrichter Istvan Vad auf
Weiterspielen.
Alex Horne,
Generalsekretär
des Englischen
Fußball-Verban-
des, auf der Pres-
sekonferenz nach
der IFAB-Entschei-
dung.